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Seinen Job bei der Bank hat Christian Schwiertz vor Kurzem an den Nagel gehängt – nicht aber sein Engagement für unser alpinprogramm. Der 66-Jährige gibt bei Biwak-, Lawinen- und Orientierungskursen sein großes Outdoorwissen verantwortungsvoll weiter.
Text: Nadine Regel, Fotos: Archiv Schwiertz, alpinwelt 2/2024
Ob die Kletterhalle Thalkirchen ein guter Treffpunkt war? Schon zwischen Eingang und Bistro nimmt eine Gruppe Kletterinnen Christian Schwiertz in Beschlag, Bekannte des 66-Jährigen. Als regelmäßiger Hallenkletterer (nur gerade mache die Bandscheibe etwas Probleme) ist Schwiertz in der Halle bekannt. Noch häufiger trifft man ihn aber draußen, wenn er mit einer Gruppe auf Schneeschuhtour geht und den Ernstfall eines Notbiwaks probt, Lawinen und Orientierungskurse gibt: Rund 15 Mal pro Jahr ist er für unser alpinprogramm im Einsatz.
Schon zu Beginn des Treffens bleibt jedenfalls ein Eindruck haften: Schwiertz kann gut mit Menschen. Nicht die schlechteste Voraussetzung für ein Ehrenamt. Ganz geradlinig verlief die DAV-Karriere allerdings nicht. Aufgewachsen ist Christian in Gladbeck im Ruhrpott – der herzliche Singsang ist ihm heute noch anzuhören. In seiner Familie war er der Erste, der sich für das Klettern interessierte. Eine Jugendgruppe in der DAV-Sektion Gelsenkirchen gab es nicht, bis irgendwann der Sektionsleiter zu ihm, gerade 20 Jahre alt, sagte: „Wir haben jetzt einen Verantwortlichen für die Jugend: dich!“, erinnert sich Christian. Ohne zu wissen, was auf ihn zukam, stimmte er zu und organisierte fortan Kletter- und Bergausflüge rund um Eifel, Münster- und Sauerland.
Outdoor Friday in der Bank
Nach seinem Studium zum Vermessungsingenieur in Bonn zog es Christian nach München, wo er an der Bundeswehrhochschule fünf Jahre für seine Doktorarbeit zum Thema Navigation und Luftbildvermessung forschte. 1992 heuert er als Immobiliensachverständiger bei der HypoVereinsbank an – und bleibt bis zum Renteneintritt im Herbst 2023. „Die Arbeit hat mir viel Spaß gemacht“, sagt er, was auch an der besonderen, fast familiären Atmosphäre in seinem Team lag. Anzug und Krawatte trug er in seinem Bürojob lange nicht mehr, für ihn war quasi immer Casual Friday, oder besser Outdoor Friday. „Durch mich ist die Outdoorbekleidung ins Bankwesen geschwappt“, lacht Christian.
↑ Immer gut gerüstet: Beim Feintuning der Blöcke greift Schwiertz zur Schneesäge. Foto: Archiv Schwiertz
In den ersten Münchner Jahren konzentrierte er sich auf Familie und Job, sein Engagement für den DAV rückte in den Hintergrund. Es sollte noch bis 1999 dauern, bis er mit 42 Jahren bei der Sektion München vorsprach. Bei Luis Stitzinger, der damals als Bergführer für die Sektion verantwortlich war, informierte sich Christian über eine Weiterbildung zum Fachübungsleiter, heute Trainer C Bergsteigen. „Luis hat mich schnell überzeugt“, sagt Christian – und so stieg er wieder ins DAV-Ehrenamt ein. Nach der Ausbildung absolvierte er Zusatzqualifikationen und Fortbildungen in den Bereichen Schneeschuhwandern, Klettersteig und Lawinenkunde. Sein Herzensthema „Biwak im Schnee“ entdeckte er aber auf einer selbst organisierten Mittelgebirgsdurchquerung mit Langlaufski. „Ich habe ein Faible für den Winter“, sagt er. Auf einer der ersten Touren habe er seinen Alutopf noch in den Schnee gestellt und sich gewundert, warum er bald kalte Suppe löffelte. Heute rekrutieren ihn Outdoorfirmen als Ausrüstungstester, was Christian sehr ernst nimmt: Als er nach einem ersten Bandscheibenvorfall in Reha musste, übernachtete er drei Wochen mit einem Testschlafsack auf dem Balkon.
Und was passiert in seinen Biwakkursen? Schwiertz zögert etwas: Keinesfalls wolle er Werbung für das Biwakieren in den Bergen machen. Seine Kurse dienen der Vorbereitung auf den Notfall, wenn man gezwungen ist, eine Nacht draußen zu verbringen. Christian kommt auf das Drama im Wallis zu sprechen, wo im vergangenen März mehrere Skitourengeher bei extremer Witterung erfroren. In so einem Fall reiche eine Rettungsdecke nicht mehr aus, da brauche es eine Schneehöhle. „Ein Notbiwaksack wärmt nicht, er schützt nur vor Wärmeverlust“, sagt Christian. In einer Schneehöhle habe es konstant zwei, drei Grad. In seinen Kursen vermittelt er, wie man sich im Winter ein Notbiwak im Schnee gräbt. Worauf er persönlich achtet: den Eingang gen Osten ausrichten, um möglichst früh Sonne zu haben.
↑ Unterschätzt: Die deutschen Mittelgebirge sind lehrreich und fürs Biwakieren oft besser geeignet als die Alpen. Foto: Archiv Schwiertz
Ein Biwak ist keine Party
Christian sieht in Sachen Biwakieren aber auch Schattenseiten. Die Begeisterung für das Übernachten draußen nimmt stetig zu. Eine Tageswanderung reicht vielen nicht mehr, sie wollen das Kompletterlebnis Wildnis. In Christians Brust schlagen zwei Seelen: „Wenn die Menschen draußen schlafen, dann will ich ihnen zumindest vermitteln, wie es richtig geht“, lautet sein Credo. Nicht in Naturschutzgebieten biwakieren, nichts hinterlassen, nachts nicht mit Stirnlampen auf höchster Stufe ins Gelände leuchten – das stört die Tiere und kann zu Fehlalarmen und nächtlichen Suchaktionen führen. „Ein Biwak ist kein Event, keine Party“, findet Christian – und nach geltender Rechtslage im Alpenraum nur für eine Notsituation gedacht. Nachahmern empfiehlt Schwiertz, der seine Kurse vorab mit Grundstücksbesitzern abspricht, die deutschen Mittelgebirge: Dort gebe es Trekkingrouten mit definierten Übernachtungsstellen für Zelte oder Biwak, etwa am Forststeig im Elbsandsteingebirge, im Frankenwald, in der Eifel oder im Schwarzwald.
Was fasziniert ihn am Ehrenamt? Er sieht sich selbst als Wegbereiter, weil er sein Wissen weitergibt, um andere Menschen in die Natur zu bringen. Er erinnert sich an eine Hochtour mit 14 Personen, für die er mit einem anderen Kursleiter verantwortlich war. Die Gruppe habe sich selbst so gut organisiert. Ohne Wecker waren alle pünktlich bereit, alle mit Spaß bei der Sache. „Nach der Woche im Hochgebirge hatte ich mehr Muskelkater vom Lachen als in den Oberschenkeln“, sagt Christian. Solche Erinnerungen ließen sich nicht mit Geld bezahlen.
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