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Thema: "Lebensgefühl Berg"

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Vui Gfui

Das Herz in den Bergen

 

von Axel Klemmer

 

Ob bergferne "Nordlichter" in Flensburg oder eingefleischte "Bergler" in Garmisch, ob Kletterer, Schriftsteller, Weltreisende, Redakteure, Fotografen, Jugendleiter, Senioren, Kinder oder ganz "normale" Wanderer: Menschen tragen die Berge im Herzen.

 

Letzten Sommer traf ich in Garmisch-Partenkichen einen Bergführer, der auf dem Oberarm ein Tatoo der Alpspitze trug. Aha, dachte ich, da liebt einer seinen Beruf und seine Heimat. Und ich musste an den Fußballprofi Kevin Großkreutz denken, der sich in früheren Tagen einmal die Skyline seiner Heimatstadt Dortmund auf die rechte Wade tätowieren ließ – tragischerweise, muss man sagen, weil er ja später vom BVB zu Galatasaray Istanbul wechselte, dann zum VfB Stuttgart und schließlich zu Darmstadt 98, und weil die Skyline von Dortmund, verglichen mit der Skyline von Garmisch-Partenkirchen ... – aber egal. Es gab meines Wissens noch keine Befragung von Mitgliedern der Alpenvereinssektionen München und Oberland zu ihren beliebtesten Tatoo-Motiven. Die Laliderer Spitze mit der Herzogkante über der Falkenhütte könnte eines sein. Oder das historische Oberländer Enzianlogo. Aber darauf kommt es gar nicht an, denn was wirklich zählt, trägt man nicht auf, sondern unter der Haut. Dort nämlich wohnt der Berggeist. Er ist genauso männlich, wie es der Alpenklub Berggeist gewesen ist, die letzte Sektion des DAV, die Frauen aufgenommen hat – anno 1997 war das. Jedes Jahr verleiht der Klub seine höchste Auszeichnung, den "Berggeist des Jahres"; geehrt werden Menschen, die gewissermaßen kein Brett vor dem Kopf haben, sondern einen besonders großen Berg.

Nehmen wir ihm die Esoterik und den Gender-Ballast weg, verliert der Berggeist seinen Schrecken und wird, gleich viel freundlicher, zum alpinen Lebensgefühl. Dieses ist eher eine Art Betriebssystem, eine übergeordnete Befindlichkeit, die weder Urlaub noch Wochenende oder Feierabend kennt, sondern Menschen in der ständigen Erinnerung an bestiegene und in den niemals endenden Gedanken an unbestiegene Berge leben lässt. Der ganze Alltag wird dadurch gleichsam auf das nächste Level gehoben: Selbst im Supermarkt trägt man das "Fitz Roy Fuse Form Progressor Shell Jacket" zum Schutz vor dem eisigen Hauch der Klimaanlage; man greift zu Bergkäse und Alpenmilchschokolade, zu Gletschereis-Bonbons und Alpensalbei, zu "Bergwunder Kräuterbitter" von Boonekamp und auch zu den Teemischungen von Meßmer, weil man wegen einer kleinen Deformation im Sehzentrum das "ß" als "ss" und das kleine "m" als "n" liest. Zum Frühstück wird Alpenpanorama auf 3sat geguckt, auch bei Nebel. Im Radio ist nichts aufregender als der Verkehrsfunk: "Stau zwischen Brunntaldreieck und Kiefersfelden, Blockabfertigung am Tunnel in Farchant ..." Da schnurrt es, das Berggefühl.

 

»Bergsteigen sei eine romantische Lebensform,
so hat es der Berg- und Schöngeist Leo Maduschka behauptet.«

# 1/2018

Unsere Autoren verraten ihr persönliches Lebensgefühl.

 

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Bergsteigen sei eine romantische Lebensform, so hat es der Berg- und Schöngeist Leo Maduschka Anfang der 1930er-Jahre behauptet. Romantische Menschen tragen eine große Sehnsucht in sich, und ihre Sehnsucht nach den Bergen müsste eigentlich wachsen, je weiter sie sich von diesen entfernen – nach Flensburg zum Beispiel. Und tatsächlich: Auch dort gibt es eine Alpenvereinssektion, schon seit 1925. Zum zehnjährigen Gründungsjubiläum veranstalteten die Flensburger Bergsteiger ein Alpenfest. Richtig, ein Alpenfest an der Ostsee. Krank vor Liebe zu den schier unerreichbaren Gipfeln und tollkühn bis zur orthografischen Selbstverleugnung schrieben sie damals die folgenden Worte auf die Einladungskarte: »Essen und Musik frei. A jeder wo am Fest teilnimmt zahlt nur an kloan'n Unkostenbeitrag von zwoa Markln und als dann dauert es bis zum 3 Uhr in der Fruah. Erscheinen ist Pflicht, aber bitte in Gebirgstracht oder z'wenigst in oan Wanderanzug mit Feststimmung.« Das Gefühl für den Berg hat eben nichts mit diesem FC-Bayernhaften "Mia san mia" zu tun, das manche Menschen in München und Umgebung glauben macht, am Alpenrand sei eh alles geiler und steiler und die Flensburger wären am liebsten auch Oberbayern und die Dortmunder erst recht (obwohl Letztere auch eine Fußballarena haben, sogar eine noch größere). Man verdrängt hier im Süden so gern, dass auch im hohen Norden Menschen leben, denen die Berge schon deshalb so viel bedeuten, weil sie so selten welche zu Gesicht bekommen. Denn genau darin zeigt sich ja das lebendige Gefühl für die Berge– wenn man sie nicht sieht, sondern nur an sie denkt und sie ständig zwischen Großhirn und kleiner Zehe spürt und weiß: Sie sind da.


"Geteilte Freude ist doppelte Freude, sagt man. Wenn man die Abendstimmung hoch über dem Stripsenjoch gemeinsam genießen kann, dann sind die Wände von Predigtstuhl, Fleischbank und Totenkirchl gleich noch schöner."

Andrea Strauß



Frei sein und daran glauben

von Tom Dauer

Frei zu sein bedeutet, den eigenen Wünschen nachzugeben.

Die Sache mit den Bergen und der Freiheit ist eine lange Geschichte. Der alte Stoiker Francesco Petrarca zum Beispiel sehnte sich schon anno 1336 auf dem Mont Ventoux nach Freiheit durch Einsamkeit. Später buddelten die Romantiker auf der Suche nach Freiheit so lange in ihrem Seelenleben herum, bis sie ob ihrer Begrenztheit angesichts einer erhabenen Natur durchdrehten. Die Bergvagabunden machten sich burschikoser ans Werk. Sie erklommen schwindelnde Höhen mit Seil und Haken, den Tod im Nacken, bevor sie resümierten: "Fels ist bezwungen, Freiheit erzwungen, ach wie schön ist die Welt." Und die Hippies und die Punks? Einige wollten die Berge zugunsten der freien Sicht aufs Mittelmeer sprengen, andere "high sein, frei sein, überall dabei sein". Es handelt sich bei der Freiheit also um ein Lebensgefühl, das über Epochen und Generationen hinweg mit den Bergen assoziiert wurde und wird. Fragte man heutige Alpinisten, Singletrail-Fahrer, Weitwanderer oder Boulderhallenboulderer, warum sie täten, was sie tun, es würde mit großer Wahrscheinlichkeit auch der Freiheit das Hohelied gesungen. Aber was bedeutet das eigentlich: frei zu sein? Eine Heerschar an Philosophen und anderen Denkern ließe sich da zitieren. Doch wenn wir schon beim Thema sind: Nehmen wir uns einfach die Freiheit und machen uns eigene Gedanken.

Neulich etwa ging ich in ein Kar hinauf, in dem ich schon sehr oft gewesen bin, zum Klettern oder einfach nur so, oder auf Ski. Auf dem Sattel angekommen, der den Übergang ins nächste Tal erlaubt, bestaunte ich das Schauspiel, das sich zu meinen Füßen darbot: eine Nebeldecke, die in das Tal gebettet schien wie ein Wattebausch, darüber scharf gezeichnet die Konturen blauer Berge, darüber ein schmaler Streifen fahlen Himmels und darüber eine von der späten Sonne orange angestrahlte Schicht Schleierwolken. Wie schön, dies erleben zu dürfen, dachte ich, das Privileg eines freien Menschen. Frei, weil ich es geschafft hatte, die Pflichten als Familienvater, meine eigenen Pläne, die Anliegen anderer, To-do-Listen, unbeantwortete Mails und die Steuererklärung zumindest für eine Zeit lang zu vergessen. Frei also, weil ich mich von den Dingen gelöst hatte; von einem Sammelsurium aus tatsächlichen und vermeintlichen Notwendigkeiten, in die man sich im Lauf der Jahre fast unweigerlich verstrickt.

 

»High sein, frei sein, überall dabei sein –
ist der alte Hippie-Spruch immer noch hip?«


Aber irgendwie war das noch nicht alles. Denn, so flüsterten mir die Gedanken: Wenn es die Freiheit von etwas gibt, dann muss es doch auch das Gegenteil davon geben – die Freiheit zu etwas. Die Freiheit zum Beispiel, auf diesem einen, sanft hellgrün leuchtenden Graspolster inmitten meterdicken, rauen Kalkgesteins zu sitzen und sich an dieser schlichten Tatsache zu erfreuen. Oder die Freiheit, aufzustehen und weiterzugehen, ohne ein Ziel zu haben, einfach den Weg hinauf, einen anderen Weg hinab. Ein alpiner Flaneur, den Kopf im Nacken ob der Schönheit rundherum und ob des Raumes, den die Berge bereithalten. Das wäre die eine Variante, die genussreiche.
Es gäbe aber auch noch die andere, die mit Risiken, Härten und Unannehmlichkeiten verbunden sein kann, und bei der es sich vielleicht nicht gleich erschließt, was sie mit Freiheit zu tun haben soll. Der Aufbruch im Dunkeln, mit schwerem Rucksack, Seil und Klettergeschirr, im Kopf eine ganz bestimmte Linie. Die Stunden des Aufstiegs, brüchiger Fels, Steinschlag, ein müde werdender Körper. An die Grenzen der eigenen Leistungs- und Leidensfähigkeit zu gehen, wo auch immer diese liegen mögen. Wäre auch das Freiheit?
Ich glaube ja. Weil frei zu sein bedeutet, den eigenen Wünschen nachzugeben. Ich sehe einen Berg und ich will da hinauf – weil ich getrieben bin vielleicht, oder weil ich etwas loswerden will, oder die Bewegung genießen, die Aussicht, das Unterwegssein allein oder mit Freunden. Was auch immer mich veranlasst, es spielt keine Rolle. Sobald ich dem Drang nachgebe, der mich in Wände, verschneite Hänge oder auf die Gipfel treibt, handle ich so, wie ich handeln will: in Übereinstimmung mit mir selbst.
Die Freiheit, die einem die Berge schenken können, speist sich aus der Entscheidung, in die Berge zu gehen. Es geht dabei nicht darum, von irgendetwas auszubrechen. Sondern darum, etwas zu wollen, etwas zuzulassen, sich für etwas einzusetzen. Die Freiheit der Berge liegt, ganz wie im richtigen Leben, gar nicht darin, eine Fülle von Möglichkeiten zu haben – sondern eine davon zu wählen. Wie lange das funktioniert? Ich weiß es nicht, aber ich habe das Gefühl, das ganze Leben lang. Ob ich in den Bergen nun wirklich frei bin oder nicht, spielt keine Rolle. Denn auch wenn ich nicht weiß, was Freiheit ist, kann ich so handeln, als wüsste ich es. Die Pointe dabei: Allein der Glaube, frei zu sein, erlaubt es mir, mich frei zu fühlen. Und darauf kommt es doch letzten Endes an.


Norddeutsche Bergleiden(-schaft)

von Ralf Gantzhorn

Auch im Flachland immer auf der Suche nach der Vertikalen: An den Stones of Stenness in Schottland.

Okay okay, ich geb’s ja zu. Der Norden ist entgegen anderslautenden Behauptungen nicht gerade die Traumlandschaft für Bergsportbegeisterte und Kletterer. Um ehrlich zu sein: Meistens ist es echt bitter. Die höchste Erhebung in weitem Umkreis ist der Bungsberg, sagenhafte 167,4 m hoch. Man achte auf die Stelle nach dem Komma! Im Winter wird hier sogar ein Skilift installiert. Deutschlands nördlichstes Skigebiet, und mit 200 m Pistenlänge wahrscheinlich auch das kleinste. Sofern man überhaupt fahren kann – letzte Inbetriebnahme für zwei Tage war der Winter 2016. Der Klimawandel sorgt im Norden vor allen Dingen für eines: beständigen Regen!

Schaut man sich vom Gipfel des Bungsbergs um, reicht das – übrigens sehr pittoreske – Panorama weit. Sehr weit sogar. Nur: Berge oder Felsen, die sieht man von dort aus nicht. Ja, lacht nur, ihr Münchner, Bayern oder Franken. Wenn ihr drei Stunden mit dem Auto fahrt, seid ihr am Gardasee. Wenn wir drei Stunden mit dem Autofahren, sind wir inmitten der Hildesheimer Börde. Nie gehört? Macht nix, das ist da, wo die einzige schattenspendende Pflanze die Zuckerrübe ist. Aber danach, kurz dahinter, kommen tatsächlich die ersten Felsen, die legendären Klippen des Ith. Wohlgemerkt: Klippen und nicht einfach nur Felsen! Früher bin ich da fast jedes Wochenende von meinem Wohnsitz in Kiel hingefahren. Der Ith-Zeltplatz dort wurde so etwas wie meine zweite Heimat, zumindest zwischen April und November. Aber eigentlich hat man dort natürlich nur trainiert – für die richtigen Berge, und die sind bekanntermaßen von dort noch mal weitere sechs bis zehn Stunden Fahrerei entfernt.

 

»Klettersport ist aus norddeutscher Sicht immer auch Motorsport.«

 

Klettersport ist aus norddeutscher Sicht immer gleichzeitig auch Motorsport. Vorteil dieser mehr als nervigen Anreise zu den gesuchten Erhebungen ist, dass man sich – so viel Arroganz muss jetzt sein – erst gar nicht mit so niedrigen Bruchkogelschrofen wie den Tannheimer Bergen abgibt, sondern gleich in die großen, also wirklich großen Berge fährt. Ziel sind auch heute noch eher die Dolomiten oder Chamonix statt Wilder Kaiser oder Dachstein. Angekommen im Gebirge, hat man aber zumindest im deutschen Sprachraum das nächste Problem: Als akzentfrei sprechender Mensch wird man nicht ernst genommen. Jeder meint, einem ungefragt gute Tipps geben zu müssen; manche Hüttenwirte haben mir sogar schon verbieten wollen, in bestimmte Touren einzusteigen.

Zumindest die Trainingssituation hat sich für einen im hohen Norden lebenden Kletterer gewaltig verbessert. Es gibt jetzt Hallen. Vorbei die Zeiten, wo man jedes Denkmal, jede Brücke auf ihre Bekletterbarkeit hin angeschaut hat. Manchmal ist das aber auch schade. Denn in Kiel gibt es sogar einen alpinen Superlativ: den längsten Boulderquergang Deutschlands. Ihr glaubt es nicht? Dann besucht uns, und wir klettern knapp 4 km weit am Hindenburgufer von Nord nach Süd, und unter uns, manchmal nur wenige Zentimeter entfernt, das kalte Wasser der Ostsee. Zumindest im "Flat Water Soloing" sind wir Norddeutschen schon seit Jahrzehnten führend. Aber irgendwie nimmt uns ja auch da niemand ernst!

Mit allen Sinnnen


Seit 20 Jahren erscheint die alpinwelt mit vier Ausgabenpro Jahr. Produziert wird das Bergmagazin im Redaktionsbüro DiE WORTSTATT in München-Schwabing. Das Thema "Lebensgefühl Berg" hat Johanna Stöckl zum Anlass genommen und der Redaktion einen Besuch abgestattet. Ein Gespräch über Büroalltag, Hausberge, eindrückliche Naturerlebnisse, Jahreszeiten, Gipfelbiwak, Betriebsausflüge, Perspektivwechsel, Auerhähne und das große Ganze.

zum Interview...



Ein Leben, das sich um die Berge dreht

von Stephanie Geiger

Frei zu sein bedeutet, den eigenen Wünschen nachzugeben.

Karl Gabl reibt sich die Hände auf seinen Oberschenkeln. Der Meteorologe sitzt zwar in seinem Büro, doch weil er gerade eine Wetterprognose für einen Bergsteiger im sturmumtosten Himalaja macht, meint Gabl die Kälte in seinen Fingern zu fühlen. Der Innsbrucker Meteorologe fiebert nicht nur mit den Bergsteigern mit. Was die wenigsten wissen: Gabl kennt die Wetterextreme, die die Bergsteiger aushalten müssen, aus eigener Erfahrung. Er ist selbst Bergsteiger aus Leidenschaft, wie er auch in seiner Autobiografie "Ich habe die Wolken von oben und unten gesehen" beschreibt. An Cho Oyu und Shisha Pangma war er unterwegs, er erreichte die Gipfel der Siebentausender Noshaq, Baruntse und Putha Hiunchuli, zudem stehen mehr als fünfzig Fünf- und Sechstausender in seinem Gipfelbuch.

"Nicht nur wegen mangelnder Eignung, auch aufgrund meiner Persönlichkeit und wegen meiner Interessen wäre es für mich nie in Frage gekommen, in London, New York oder Hamburg Karriere zu machen. Für mich war sogar Wien schon zu weit weg von den Alpen", sagt Karl Gabl in der ihm eigenen bescheidenen, aber gleichzeitig bestimmten Art. Als der Meteorologe direkt nach dem Studium in Wien Arbeit fand, war er dort todunglücklich. Gerade einmal 18 Monate hielt es der Tiroler in der Hauptstadt aus, dann ergab sich die Gelegenheit, die Leitung der Wetterdienststelle in Innsbruck zu übernehmen. Gabl setzte alles daran, näher zu den Bergen zu kommen.

 

»Berge machen mir Angst.«

 

Karl Gabls Leben dreht sich um die Berge. "Aber immer mit Kompromissen", sagt er, der auch Präsident des Österreichischen Kuratoriums für alpine Sicherheit ist. "Berge machen mir Angst." In St. Anton am Arlberg aufgewachsen, erkundete er schon als Jugendlicher die steilen Felswände der Heimat. Auf die Roggspitze stieg der 14-Jährige nur mit einem Hanfseil gesichert. Später setzte er Akzente mit Winterbegehungen am Hausberg von St. Anton, dem Patteriol. Gabl, der die Prüfung zum Bergführer abgelegt hat, stieg durch die Ortler-Nordwand, die Monte-Rosa-Ostwand, er kletterte die Agnèr-Kante, die "Comici" an der Großen Zinne und andere klassische Dolomitenrouten. Zur damaligen Zeit schwierige Sachen. "Zur Spitze habe ich aber nie gehört", sagt Gabl. Auch deshalb, weil er immer versucht habe, die Leidenschaft Berg mit Beruf und Familie zu vereinbaren. Als die Kinder groß genug waren, nahm er die ganze Familie ans Seil. 

Urlaub und Reisen sind für Karl Gabl selbstverständlich mit Bergen verbunden. Als er vor einigen Jahren Hawaii besuchte und er sich dort immer nur in den Bergen herumtrieb, fragte seine Frau am vorletzten Urlaubstag, ob man nicht doch noch einen Abstecher an die Küste machen solle, um wenigstens einmal das Meer gesehen zu haben, so erzählt es Karl Gabl in seinem Buch. Und als ihn im Sommer 2017 in Bolivien beim Vorhaben, zwei sechstausend Meter hohe Vulkane zu besteigen, ein schwerer Verkehrsunfall fast das Leben kostete und alle bergsteigerischen Pläne zunichtemachte, ließ sich der 71-Jährige von den zwanzig Knochenbrüchen und den Schmerzen nicht lange aufhalten. Mitte November stand er schon wieder auf den Tourenskiern. Karl Gabl braucht die Berge für sein Leben. Sie sind sein Leben.

"Ich war bloß Berg, Berg, Berg"

Elisabeth Engelmaier (92) ist gebürtige Münchnerin und fuhr ihr Leben lang in die Berge – am Anfang noch regelmäßig mit dem Radl. Heute kann sie nicht mehr auf Tour gehen, im Herzen ist sie aber Bergsteigerin geblieben.

alpinwelt: Frau Engelmaier, wie sind Sie zum Bergsteigen gekommen?

Elisabeth Engelmaier: Es ist einfach in mir gewesen. Aber immer wenn ein Fön-Tag war, hab ich mir gedacht: Ich möcht dahin fahren. Als der Krieg dann zu Ende war, hab ich meinen Mann kennengelernt, und von dem Moment an sind wir allerweil in die Berge gefahren. Schon donnerstags haben wir uns zusammengesetzt: "Wo geh ma am Wochenende hin?" Zillertaler, Ötztaler, Stubaier – überall sind wir gewesen, und immer waren wir uns einig. Als mein Mann dann in Rente war, waren wir sowieso die meiste Zeit in den Bergen.

Was genau war es, was Sie so begeistert hat?

Überhaupt das Ganze. Ich war bloß Berg, Berg, Berg. Und wenn wir unterwegs Blumen entdeckt haben, das musste gar kein Edelweiß sein, das war so schön! Oder wenn man auf dem Gipfel war, hat mich mein Mann in die Arme genommen und gesagt: "Des hast wieder guad gmacht". Und dann haben wir geschaut und waren zufrieden.

Wie würden Sie Ihr persönliches Lebensgefühl Berg beschreiben?

Berge und Bergsteigen war unser Lebensinhalt. Wir sind nirgendswo anders hingefahren. Berg war halt einfach Berg. Berg war unser Inbegriff.

Begleiten die Berge Sie auch heute noch?

Ja. Ich schau mir alles über die Berge im Fernsehen an und denke darüber nach: Nein, so sind wir nicht gegangen, wir sind anders gegangen. Oder oft kommt mir ein Gedanke. Dann schau ich in meine Bergsteigerkarten und überlege, wie das damals war. So bin ich im Geiste immer noch in den Bergen, auch wenn ich nicht mehr mitgehen kann.

Sind Sie traurig, dass Sie nicht mehraktiv bergsteigen können?

Ja, das tut mir schon weh. Wenn ich z. B. mit dem Seniorenkreis nach Haunleiten fahre, dann steh ich da, schau in die Berge und denke: Da kommst nimma nauf ... Aber so ist das Leben. Ich darf mich nicht beschweren, und es ist ja immer noch alles in mir drin.


Alpines Basiswissen

von Clemens Kratzer

Noch nicht ganz ausgereifter Bergvagabund mitkariertem Hemd, Locken und Schnauzbart

Wenn damals der Luis am Wochenende Zeit und der Himmel blau hatte, dann galt unser Interesse den Münchner Hausbergen. Vorher fand eine Verkleidung statt. Damit wir ernstgenommen würden, wollten wir so aussehen wie Bergsteiger, und die, hieß es, trugen rotkarierte Hemden. Das Ziel: Zum ersten Mal rauf zur Tegernseer Hütte, Roß- und Buchstein, nicht immer zum Hirschberg! Wenn der Mensch Neuland betritt, lernt er oft dazu. Wir waren jung und wussten schon alles. Deshalb war es auch nicht nötig, den Busfahrer zu fragen, wann es denn geschickt sei, aus-zusteigen, wenn man zum Roß- und Buchstein wolle. Und stiegen hinter Scharling aus, ahnend: Westwärts! Erst einmal rauf in den Bergwald, weiter oben würden wir uns dann schon orientieren.

Bergwälder können viele Bäume haben. Und wenig Wege. Auf einmal sah alles gleich aus. Nur der Unterschied zwischen rauf und runter war zu spüren. Immerhin wussten wir bereits, dass das durstig machen kann. Besonders im Sommer. Da: Ein Baum trug weiße Reifen, eine Markierung? Zwei weiße Reifen, vielleicht einen für den Roß- und einen für den Buchstein? Bis wir zu dem Schluss kamen, dass diese Streifen an den Bäumen vielleicht nur dem Förster etwas zu sagen hatten. Endlich eine Forststraße. Ein Luxus. Doch die machte keinerlei Anstalten, irgendwann bergauf zu führen. Wenn wir also verdursten wollten, so bräuchten wir nur dieser staubigen Straße folgen. Es reichte uns bald. Rechts in den schattigen Bergwald, weglos, Hauptsache rauf. Bald wurde der Wald dünner, eine Wiese und sogar ein Steigerl ...

Beinahe hätten wir sie übersehen. Mitten im Gras saß eine alte Frau. An ihren Füßen hatte sie Bergschuhe, denen man alles glauben würde. Sie frug: "Wo wollts denn ihr zwoa hin?""Zum Roß-und Buchstein", verriet der Luis. Und sie lachte: "Wennts eich umdrahts, Buam, nacha sehgts'n schee." Fern prangte das Brüderpaar der beiden Gipfel. Wir: "Ja, und wo samma dann mia?" Die Alte lächelte gütig: "Am Hirschberg-Südhang". Aha! "Aber, wia kumma denn zum Gipfe?" Das Mutterl: "Buam, des miaßts eich merka: In de Berg, do is da Gipfe immer obn!"

Das rotkarierte Hemd wanderte nach weiterer Reifung in die Kleidersammlung. Und ich noch oft auf Haus- und auswärtige Berge. Wenn Sie vielleicht auf den Fidschi-Inseln oder auf dem Oktoberfest jemand mit einem rotkarierten Hemd sehen, bitte Ehrfurcht: Das Hemd war vielleicht schon auf dem Hirschberg!



Berge von Geschichten

von Johanna Stöckl

Auf dem Tunnel Mountain in Banff (Kanada) vor dem Besuch des Banff Mountain Film Festivals

Beruflich habe ich mich – man muss das wörtlich nehmen – den Bergen "verschrieben". Mein Netzwerk besteht zu 90 % aus Menschen, die auf Gipfel steigen: Hobbybergsteiger, Profialpinisten, Kletterlegenden, Fotografen, Sportler, Abenteurer, Freizeitkraxler, Hüttenwirte, Wegewarte etc. Seit meiner Kindheit zieht es mich ins Gebirge. Allerdings: Die Berge kommen auch zu mir, z. B. in Form einer Postkarte von einer Expedition, via Instagram oder Facebook.

Über meinem Schreibtisch hängen gerahmte Bilder, die mir viel bedeuten. Eines zeigt gigantische Felsriesen, die sich aus dem endlosen Weiß der Antarktis erheben. Thomas und Alexander Huber, meine ersten Interviewpartner, haben mir dieses Bild nach ihrer Queen-Maud-Land-Expedition, über welche ich in der FAZ berichtet hatte, geschenkt. Wahrscheinlich werde ich nie selbst dort stehen. Dennoch "kenne" ich diesen magisch schönen Sehnsuchtsort, die Huberbuam haben mir so anschaulich davon erzählt.

Daneben lacht Ines Papert, über die ich ein Buch geschrieben habe, an Eisgeräten hängend von einem Bild. Mein Kumpel, der Profifotograf Franz Walter hat es geschossen, als wir gemeinsam mit Ines auf meiner wohl ungewöhnlichsten Reise waren, in der Eisstadt von Harbin in China. Wenn ich so nachdenke: Die Berge haben mir einzigartige Erlebnisse, vor allem aber wertvolle Freundschaften mit Gleichgesinnten geschenkt. Eine Journalistenpreis-Urkunde hängt ebenfalls über meinem Schreibtisch. Bin ich im Alltag einmal down, richte ich den Blick auf "meine" Wand. Sie spendet mir Kraft und Motivation. Ganz so wie mich eine leichte Kletterpartie, ein Sonnenuntergang in den Bergen wieder versöhnlich stimmen. Ganz egal, was vorher war.

Wie alles anfing? Mit einem Wanderabzeichen für Touristen! Im Fremdenverkehrsamt meines Heimatorts lagen Wanderhefte für Urlaubsgäste aus. Pro Wanderung wurde je nach Schwierigkeit und Länge eine Punktezahl vergeben, Stempel von Hütten und Gipfeln dienten als Beweis. Ich erwanderte mir sechsjährig im Alleingang (!) die Wandernadeln in Bronze und Silber. Für die goldene Plakette fehlte ein einziger Stempel: jener der 2033 Meter hoch gelegenen Passauer Hütte. Von meinen Eltern bekam ich schließlich Bergschuhe, Rucksack, Kniebundhose und ein Tourenbuch geschenkt und ahnte, was das bedeutete. Zum ersten Mal stieg ich also – in Begleitung meines Vaters, aber aus eigener Kraft – in eine Höhe von über 2000 Metern und konnte erstmals auch die schneebedeckten Gipfel der Hohen Tauern am Horizont erblicken. So sicherte ich mir die goldene Wandernadel. Was war ich stolz! Rückblickend war dieser Tag eine Art Initiationserlebnis. Ich war in die abenteuerliche Gebirgswelt vorgedrungen, der Erwachsenenwelt ein Stück nähergekommen. Mit den Jahren erweiterte sich mein Aktionsradius, die Berge wurden höher, die Touren spektakulärer, die Begegnungen intensiver. Dabei entstanden Berge von Geschichten, die ich niederschreibe.


Ein Bergführer am Ruwenzori, dem auch im Schneeregen nicht das Lächeln gefriert: Wer begeistert ist – von den Bergen, vom Draußensein, von der Bewegung in der Natur –, dem kann kein Wetter zu schlecht und keine Anstrengung zu groß sein.

von Günter Kast



Die Familie und die Berge im Herzen

von Gotlind Blechschmidt

Familie Blechschmidt anno 1965 auf dem Breithorn im Wallis

Meine Eltern kamen erst im Alter vonüber vierzig zum Bergsteigen, nachdem sie aus Sachsen geflohen und 1954 in Hamburg ansässig geworden waren. Beide liebten die Natur, hatten schon Fahrten in die Bayerischen Alpen und sogar – kriegsbedingt – im Himalaja unternommen und besaßen großen Sports- und Abenteuergeist, den sie ihren fünf Kindern mit in die Wiege legten. Während meiner gesamten Schulzeit verbrachten wir in verschiedenen Familienkonstellationen vier Wochen der Sommerferien in den Alpen, vorwiegend im Wallis. Von un-serem Zeltplatz auf 1800 Meter Höhe unternahmen wir zahlreiche Hüttentouren, und bald zog es uns auch zu den hohen Gletscherbergen hinauf. So lernte ich von klein auf die Bergwelt kennen.

Als Nesthäkchen genoss ich es, mit den älteren Geschwistern unterwegs zu sein, und erinnere mich noch heute genau daran, dass ich als Sechsjährigeauf dem Gran Paradiso von einem Italiener Schokolade und Studentenfutter geschenkt bekam. Oder an den Hüttenwirt Giovanni auf der Marco-e-Rosa-Hütte im Berninagebiet, der immer wieder begeistert ausrief "Una famiglia!" und uns ein schönes Schlafabteil zuwies. Zwischen den Bergtouren verlebten wir unbeschwerte Ruhetage im Tal, mit Staudammbauen am Bach, aber auch mit Ausharren, wenn es Schneefall mitten im Juli gab ... Wieder zu Hause, war es zuerst immer sehr öde und langweilig.

Die gemeinsamen Erlebnisse und Erinnerungen formten ein starkes Band innerhalb der Familie. In den kommenden Jahren bildete sich bei mir ein eigenes alpinistisches Interesse heraus, sicher im Schlepptau meines Bruders Ingo, der zu einem extremen Fels- und Eiskletterer heranwuchs. Wie er trat ich in die Jugendgruppe der Sektion Hamburg ein und fuhr mit Gleichaltrigen zum Klettern ins nahe Weserbergland. Im Winter vertieften wir uns in klassische alpine Literatur, Führer und Karten und heckten neue Pläne aus. Schon sehr früh begann ich in den Ferien Bergtagebuch zu schreiben – bis heute immer in Schulheften – und dokumentierte so die Unternehmungen. Ab und zu lese ich heute noch in den alten Heften und lasse die Erinnerungen an mir vorüberziehen.

 

»Wieder zu Hause, war es zuerst
immer sehr öde und langweilig.«

 

Der Umzug nach Bayern – endlich in Bergnähe leben!– nach meinem Abitur und Ruhestandsbeginn meines Vaters stand leider unter einem traurigen Stern. Ingo war einige Monate zuvor mit seinem Freund, beide 23 Jahre alt, durch eine Lawine aus der winterlichen Watzmann-Ostwand und ihrem blühenden Leben gerissen worden. Danach erfolgte eine jahreange Neuorientierung innerhalb der Familie, aber auch zu den Bergen. Wir haderten mit ihnen, bis wir irgendwann einsahen, dass diese ja an dem Unglück unschuldig waren. So ging es wieder los mit dem Bergsteigen. Nicht zuletzt fühlten wir uns dem Sohn und Bruder in seinem Sehnsuchtsraum auch weiterhin sehr nahe – den Watzmann habe ich allerdings bis heute nicht betreten.

Familienwanderung zu zehnt zur Gumpertsbergerhütte im Chiemgau

Nach meinem Geografiestudium, bei dem ich einen neuen, wissenschaftlichen Bezug zum Thema "Gebirge weltweit" erhielt, veränderte sich mein Verhältnis zu den Bergen erneut. Als Mutter dreier Kinder galt es, die alpinistischen Aktivitäten stark zu drosseln, was teilweise hart war. Es bedeutete aber auch, in kleinen Wanderungen den Kindern die Liebe zur Natur weiterzuvermitteln und die Berge mit ihnen gewissermaßen neu zu erleben. Besonders schön war es, wenn die Kinder mit Cousin und Cousinen gemeinsam unterwegs waren – dann liefen die kleinen Beine wie von allein, und es wurden am Wegesrand glitzernde Zaubersteine gesammelt. Wenigstens zu einer größeren Bergunternehmung pro Jahr konnte ich mich aber von der Familie "abseilen", und diese Fluchten gaben mir immer viel Kraft für den Alltag. Inzwischen sind meine Kinder erwachsen und erfreuen sich beim Unterwegssein mit Rucksack und Zelt an ihren eigenen Abenteuern. Ein bislang für uns einmaliges Berg-Vergnügen war ein Weihnachtsfest mit zehn Familienmitgliedern auf einer Selbstversorgerhütte und einem Gipfel mit Superaussicht als Gratisgeschenk für alle.

Das Lebensgefühl Berg ist in mir weiterhin da und hat sich im Bewusstsein der vorbeieilenden Jahre eher verstärkt. Immer noch lese ich alpine Literatur und recherchiere nach neuen Strecken, immer noch ist da der große Wunsch, in Neuland aufzubrechen, die Kräfte zu messen und an die eigenen Grenzen zu gehen – die sich ja auch mit zunehmendem Alter verschieben. Das freie, intensive Unterwegssein in den Bergen mit einer fast meditativen Anmutung wird mir wichtiger. So kann ich leichter als früher umkehren und gehe auch weniger Risiko ein. Sehr interessieren mich heute außerdem die kulturellen Hintergründe – Felszeichnungen, Pilgerwege, Musik und Tänze irgendeines Tales. Da kann es schon mal vorkommen, dass ich mir zu Hause die betreffenden YouTube-Videos ansehe, laut mitsinge und mich im Geiste in diese Bergregion versetzen lasse. Das Lebensgefühl Berg umfasst für mich neben der Familie eben auch noch andere Bereiche!

Da spürt man's ganz stark!


Die erst 22-jährige Studentin Anna Würfl geht nicht nur privat in die Berge, sondern engagiert sich bereits seit mehreren Jahren auch als Jugendleiterin für die "Mauntän Kiz" der Sektion Oberland. Darüber hinaus arbeitet sie bei KOMPASS.

alpinwelt: Du warst als Kind selbst in einer Jugendgruppe. Haben dich deine Eltern da reingesteckt?

Anna: Nein. Als ich jünger war, sind wir öfters zusammen mit meinen Eltern in die Berge, aber das hat irgendwann nachgelassen. Ich habe dann viele andere Sportarten ausprobiert, hasste aber den oft vorhandenen Wettkampfgedanken. Als ich hörte, dass man das Klettern einfach nur für sich, ohne Wettstreit mit anderen ausüben kann, wollte ich das machen. Mit 11 habe ich dann zusammen mit meinem Vater angeleiert, dass bei uns in der Ortsgruppe Germering eine Jugend-gruppe gegründet wird.

Welche Rolle spielen die Berge heute für dich?

Ich bin voll oft auf Tour. Das nicht zu machen, fände ich schwierig. Während meines Auslandsjahrs in Indien hatte ich keine Möglichkeit, in die Berge zu fahren. Das fand ich ganz schlimm. Da hat was gefehlt. Bergsteigen ist für mich mehr als Sport. In den Bergen ist es nicht so hektisch. Ich schaue z. B. nie auf mein Handy, ich kann das nicht. Das ist einfach so ein Gefühl, weil es dort ursprünglicher ist.

In welchen Situationen erlebst du die Berge besonders intensiv?

Wenn man barfuß eine Wanderung macht und erst in den Matsch, dann auf Nadeln und schließlich auf Felsen tritt: Da spürt man's ganz stark! Oder wenn man in der Nacht aufsteht, um den Sonnenaufgang anzuschauen. Wenn man dann oben am Gipfel steht und die Sonne emporkommt, dann spürt man ganz intensiv, dass man gerade genauan der richtigen Stelle steht und dass es gut ist, dass man gerade hier ist.

Was möchtest du als Leiterin den "Mauntän Kiz" mitgeben?

Ich finde das Vertrauen in den Bergen ganz wichtig, das bringt einem viel fürs Leben. Aber auch die Wertschätzung der Natur sowie Ängste zu überwinden. Wir hatten jetzt ein Kind, das nach sechs Tagen auf Tour seine Höhenangst überwunden hat: Es war einfach gigantisch, dem Mädchen dabei zuzusehen, wie es sich gefreut hat und die Umgebung plötzlich ganz anders wahrnehmen konnte.


Entstehen, Vergehen, Verwandeln

von Christian Rauch

Wer die Berge mit allen Sinnen erlebt, lernt das Spiel der Natur bewusster wahrzunehmen.

Es ist Juni. Aus blumenübersäten Grasflanken steige ich in ein Kar ab. Große Schneefelder halten sich hier. Ich betrete eines, rutsche über den Firn. Das körnige kalte Weiß reibe ich in den Händen und über mein verschwitztes Gesicht. Schnee – ich erinnere mich daran, wie ich als Kind sehnsüchtig auf ihn gewartet habe, und freue mich, dass die Firnfelder noch dick sind. Doch wie lange werden sie noch überleben? In den folgenden Wochen ertappe ich mich dabei, wie ich von zuhause mittels Webcam nachsehe, ob die Schneefelder in dem Kar noch da sind. Sie sind es, aber sie schrumpfen. Nur eines, unter einem schattenspendenden Felsabbruch, hält sich. Und ich bin richtig beruhigt, als im September der erste Hochgebirgsschneefall sein Pulver schützend darüberdeckt. Und zwei Monate später schimmert das ganze Kar dick weiß.

Was ich an den Bergen liebe, ist weniger ihre starre Dauerhaftigkeit oder ihre scheinbar ewige Wucht. Sondern das dynamische Spiel der Natur, das Entstehen und das Vergehen: Wenn abends auf der Hütte ein Gewitter aufzieht, der Sturm an den Fensterläden rüttelt und Hagelkörner gegen die Scheibe prasseln, wenn sich die sonst so regungslosen Felswände in Wasserfälle und Sturzbäche verwandeln, dann folgen meine Sinne fasziniert dem Schauspiel. Ich rieche das nasse Holz, über Gesicht und Finger zieht der kalte Lufthauch aus dem Spalt des Fensters. Stunden später steht das Bergmassiv wieder da, als ob nichts geschehen wäre. Doch tiefer, in den Wäldern, sind die Wasserläufe angeschwollen. Und wenn ich am Morgen absteige, beobachte ich, wie sich das Wasser aus allen Flanken seine Wege gebahnt hat. Da ist es wieder, dieses Gefühl. Fasziniert betrachte ich die Rinnsale auf und neben meinem Steig, die sich in einen Bach ergießen. Und der fließt in einen größeren Bach und weiter, immer weiter ... bis das Wasser wohl irgendwann eines der großen Weltmeere erreicht.

 

»Was ich an den Bergen liebe,
ist das dynamische Spiel der Natur.«

 

Entstehen und Vergehen, oder besser Verwandeln, das ist es. Auch auf alten, verfallenen Steigen, von denen man noch Konturen erkennt, auf denen aber bereits junge Bäume wachsen und herabgefallene Felsblöcke liegen. Man kann das Moos auf diesen Blöcken fühlen und sich fragen, wie lang es dauern wird, bis Sand und Erde es zudecken und neue Vegetation entsteht. Man kann wiederkommen, nach Jahren, und sehen, wie die Bäumchen größer geworden sind. Und wenn man alt geworden ist, hat sich der Weg, sofern ihn nicht andere Bergliebhaber für sich entdecken, wieder in wilde Natur verwandelt.

Entstehen, Vergehen und Verwandeln, über Jahreszeiten und Jahrzehnte hinweg, das lehrt mich der Berg, wo die ersten Blüten im Frühjahr, die bunten Bäume im Herbst und der Schnee des Winters stärker und klarer zutage treten als unten im Tal. Doch auch dort nehme ich dank der Berge das Spiel der Natur bewusster wahr – im Garten, entlang der Landstraße, selbst in der Stadt.



Allein am Berg

von Michael Reimer

Bei Sonnenuntergang allein am Berg

Endlich Schönwetter nach dem ersten Wintereinbruch in den Bergen. Die eine Spur im Schnee hat wohl dem Wirt der Lenggrieser Hütte gehört, jedenfalls endet sie dort. Jetzt sind wir an der Reihe. Im Wald ist der jungfräuliche Schnee gerade knöcheltief – das gleichmäßige Hochspuren auf butterweichem Untergrund nimmt fast meditative Züge an. Dann, nach Heraustreten aus dem Wald, ein erstes Glücksgefühl: Die aus dem Schnee hervorstehenden borstenartigen Grashalme sind im bitterkalten Wind zu kleinen Eis-Obelisken mutiert. Keine Menschenseele weit und breit, nur wir zwei in dieser bizarren Bergwelt. Allein und ganz klein.

Für mich gilt: Das Erlebnis am Berg, das Glücksgefühl, die Bindung zur Natur ist umso stärker, je abgeschiedener das auserwählte Ziel vom Rummel, je weiter es von der "Zivilisation" entfernt ist. Wenn nicht das Stimmengewirr anderer Gipfelbesteiger, sondern allenfalls der rauschende Wind oder krächzende Dohlen die Geräuschkulisse bestimmen. Menschenauflauf am Berg – da könnte ich ja gleich am Münchner Stachus zum Wandern gehen. Und das Faszinierende ist: Selbst an einem Münchner Parade-Hausberg wie dem Seekarkreuz kann ich stille Stunden erleben, wenn ich ihn zur rechten Zeit besteige. Einsam bin ich in der Regel auch bei Sonnenuntergang auf einem Gipfel.

 

»Keine Menschenseele weit und breit,
nur wir zwei in dieser bizarren Bergwelt.

Allein und ganz klein.«


"Es war Liebe auf den ersten Blick: Seit meiner ersten Begegnung im Karwendel fühle ich mich vom Steinbock magisch angezogen. Seine Ruhe, seine Kraft, seine Eleganz sind einzigartig, manchmal träume ich davon, mich ebenso grazil und leichtfüßig über steiles Gelände fortbewegen zu können. Der Steinbock ist der wahre König der Alpen, er ist mein Vorbild am Berg."

Andreas Wiesinger, Extrem-Bergläufer und Autor eines Steinbock-Wanderführers


Viele fürchten ja die Dunkelheit wie der Teufel das Weihwasser, dabei ist es am Berg länger hell als im Tal, und es gibt zahlreiche Ziele mit kurzem Abstieg, beispielsweise zur nächsten Unterkunftshütte. So wie am Geigelstein: Ich stapfe an einem winterlichen Nachmittag durch den Schnee zum Gipfel hoch und warte geduldig auf das Abendlicht. Zur kalten Jahreszeit ist die Fernsicht meist gut und das Licht besonders intensiv. Kein Blick auf die Uhr, einfach nur innehalten und still beobachten. Mit innerer Ruhe und Freude die Naturromantik am Berg auskosten. Die Farbexplosion am Himmel mitverfolgen, die der Sonnenuntergang mit sich bringt. Noch kurz abwarten, bis es ganz staad ist, und dann – nach einem letzten Blick auf die sich klar am Horizont abhebenden Bergketten – langsam auf dem orange-farbenen Schnee zur Priener Hütte hinabgleiten, die unterhalb des Bergkessels so zuverlässig auftaucht und mein Geborgenheits-Gefühl festigen wird. 

Bergerlebnisse wie diese prägen sich tief in mir ein. Sie tragen mich mindestens eine Woche lang beschwingt oder zumindest ausgeglichen durch den Arbeitsalltag – möge der noch so anstrengend sein. Sie verhelfen mir zu einer Art Aufbruchstimmung, auch wenn die Zeiten einmal weniger hoffnungsfroh sein sollten. Sie stärken mein Wohlbefinden nachhaltig, weil sich Körper und Seele im Einklang befinden. Dieses Lebensgefühl-Hoch hält so lange an, bis ich, am Schreibtisch sitzend, die Sonne über dem tristen Novembergrau erahne. Wie schön wäre es dann wieder, statt der Texterfassung am Laptop so ganz spontan einem Gipfel entgegenzustreben, dabei die Nebeldecke zu durchstoßen und mich über dem Wolkenmeer quasi freizuschwimmen!



Kinder, die Berge!

von Ute Watzl

"Ich find's auch toll hier!"

Ich sag euch mal was: Als Kind hat man es nicht einfach. Aber als Kind einer Mutter, die für ihr Leben gern in den Bergen wandert, noch weniger! Meine Mutter ist so eine. Deswegen muss ich jetzt mal wieder wandern. Mein kleiner Bruder findet das klasse. Aber ich, naja. Bergferien machen wir, eine Woche mit anderen Familien auf einer Hütte. Ich mag jetzt nicht wandern, aber die haben gesagt, da oben gibt’s Gold. Das will ich sehen. Mein Bruder ist auch schon ganz verrückt danach. Boah, wie der hier hochkraxelt. Angeber. Na, dem werd ich’s zeigen. Gleich hab ich ihn überholt. Jetzt heult er. Immer will er Erster sein.

Uff, Pause, ich kann nicht mehr. Wann sind wir da? Mama sieht zufrieden aus. Das ist ihr Berggesicht. Ein gutes Zeichen. So sieht sie immer aus, wenn wir bald oben sind. Sie macht ganz viele Fotos von den anderen Bergen. Die sehen alle gleich aus. Nur einer ist ein bisschen größer, mit Schnee drauf. Großglockner heißt der. Aha. Ich will nicht mehr. Wo ist die Hütte mit dem Schnitzel? Was machen denn die anderen Mädchen da vorne? Die haben Blumenkränze im Haar und um den Hals. Cool! Wie geht das? Die eine ist voll nett und kann das super. Emma heißt sie. So viele Blumen hier! Die gelbe ist schön. Die nehme ich mir mit für meine Blumenpresse. Und die auch. Ach ja, ich darf nicht alle pflücken. 

Wo ist eigentlich mein kleiner Bruder? Ach, er sitzt mal wieder in einem Bach, völlig eingesaut. Jetzt hat Mama den "Komm-schon-wir müssen-weiter-Blick". Wohin will er bloß mit den ganzen Steinen? Die muss am Ende bestimmt wieder Mama tragen. Aber hey, die sehen echt toll aus. Die glitzern in der Sonne. Ist das etwa Gold? Das muss ich Emma zeigen. Guck mal, was für ein schönes Muster der hat. Und der auch. Mama ruft. Nie kann man zu Ende spielen.

Jetzt wird es aber steil. Da soll ich hoch? Mein kleiner Bruder ist natürlich schon oben. Angeber. Alter, das ist ja wie Klettern. Cool! Da kann ich mich mit den Händen festhalten. Und dann die Stufe, hoch und wieder festhalten, jetzt die Stufe und ... Endlich, das Gipfelkreuz! Komm, Emma, wir schreiben was ins Buch! Mama ist schon wieder am Fotografieren. Ich muss mich vors Gipfelkreuz stellen, mit meinem kleinen Bruder. Sie zeigt uns, wo die Hütte ist. Da unten irgendwo, wow! Emma hat ein Herz ins Gipfelbuch gemalt.

Jetzt geht's zum Glück nur noch runter. Mein kleiner Bruder hüpft durch die Wiese. Er und die anderen Jungs fangen Grillen. Und dann halten sie sie uns vor die Nase. Hab mich voll erschreckt. Jetzt rennen die Jungs los, und Mama schaut auch ganz aufgeregt. Was ist denn los da vorne? Ah, ein Wasserfall! Wie das spritzt! Mal sehen, ob ich den Bach stoppen kann. Ich muss da eine Mauer bauen. Emma, machst du mit? Bring mal das Moos her! Fühlt sich nass an an den Füßen. Egal. Mama macht Fotos und hat den "Was-gibt-es-Schöneres"-Blick. Ich find"s auch toll hier! 



Wiedergeher

von Jutta Siefarth

Der Reiz des Altbekannten: Lago Mognola, Tessin

Natürlich gehe ich auch auf andere Berge. Aber es ist einfach nicht dasselbe. Schon bei der Anfahrt schaut man da aus dem Fenster, voller Vorfreude, vielleicht auch mit ein bisschen Anspannung, weil man nicht so genau weiß, was einen erwartet, auf jeden Fall aber eifrig bemüht, all das Neue in sich aufzunehmen, nur ja nichts zu verpassen, denn wer weiß, ob und wann man das nächste Mal herkommt. Wenn ich dagegen wieder auf dem Weg ins obere Maggiatal im Tessin bin, entspanne ich mich. Mein Blick fällt auf Vertrautes. Ich erkenne Dinge wieder, die mich an vergangene Touren erinnern – von diesem Dorf aus haben wir kurz nach Weihnachten eine Tour mit Freunden gemacht, wo uns ein warmer Föhnsturm fast umgeblasen hätte; dort ist die "tibetanische" Brücke über die Maggia, die so herrlich vibriert; und hier zweigt der Weg ab zum Lago Tomeo, der besonders Anfang September so intensiv türkis schimmert ... Über solche Erinnerungen, im Laufe vieler Jahre gesammelt, bin ich mit dieser Gegend verbunden, auch wenn ich nicht von hier stamme.

Natürlich habe ich hier auch eine Lieblingstour, die ich schon unzählige Male gegangen bin. Immer dieselbe Tour – und doch nie die gleiche. Ob mit Schneeschuhen oder Bergstiefeln, die Jahreszeiten machen einen gewaltigen Unterschied (auch mit Mountainbike und Tourenski war ich schon unterwegs, auch das verändert die Wahrnehmung). Dann das Wetter, das immer andere Stimmungen zaubert, ebenso wie die Tageszeit. Die Begegnungen, mal mit einem Murmeltier, mal mit einer Gams, mal mit einer Herde Ziegen, nur sehr selten mit einem anderen Bergsteiger. Meine eigene Verfassung, die mich auf unterschiedliche Dinge achten lässt, mal das große Ganze, mal das kleine Detail. Ich habe für diesen Weg schon drei Stunden gebraucht oder sechs. Und ihn einmal kaum wiedererkannt, obwohl ich doch meinte, inzwischen jeden Stein zu kennen: Aber im Nebel wirkt sogar Vertrautes fremd oder gar bedrohlich.

Was mich dazu bewegt, diese Tour immer und immer wieder zu gehen? Abgesehen davon, dass sie einfach wunderschön und abwechslungsreich ist, gibt es eine Konstante: Ich komme hier zur Ruhe. Denn Vertrautes vermittelt Sicherheit (und vielleicht auch so etwas wie Trost in einer Welt, die uns ständig mit Neuem konfrontiert). Mehr als irgendwo sonst fühle ich mich hier mit der Natur verbunden, weil ich sie so gut kenne und ein Gespür für die langsamen, fast unmerklichen Veränderungen entwickelt habe, die dem oberflächlichen Betrachter, dem einmaligen Tourengeher nie auffallen können. Und mit jedem Mal, das ich hinaufsteige, wächst meine Verbundenheit noch. Und meine Dankbarkeit.

Tourentipps zum Thema


Unsere Autoren empfehlen diesmal Touren, die für sie mit besonderen persönlichen Erinnerungen, Erlebnissen und Gefühlen verbunden sind: Wandern und Rodeln mit Kindern, Skitouren, Viertausender, Blumenmeere im Frühling, ein geheimer Aussichtspunkt und ein bergferner Berg.

zu den Tourentipps



Gehen oder schreiben?

von Stefan König

"Auch unterwegs wird immer geschrieben!”

In jungen Jahren war es Flucht. Leben in einer anderen Dimension oder, hippiesker ausgedrückt, die Suche nach "Separate Reality". Werktag war Alltag; das eigentliche, wahre Leben aber spielte sich erst am Wochenende ab: im Kaisergebirge, in den Ötztalern, in den Dolomiten. Selbst der gern erlernte Beruf des Kachelofenbauers war Qual, insbesondere wenn mich an Schönwettertagen die Fantasie den Fels in den Fingern und das Eis unter den Schuhen spüren ließ. Die Berge und, mindestens genauso wichtig, das Sich-selbst-Erleben in den Bergen war Obsession, war nichts anderes als Sucht.

Eine Sucht, die man nie ganz los wird. Deshalb steht der Schreibtisch heute auch so, dass bei der Arbeit kein "Gipfelblick" ablenken und zum Nichtschreiben verführen kann. Was ich sehe, wenn ich über den PC hinwegschaue, sind Dachziegellandschaften, dahinter ein Wald, Himmel, keine Berge. Stünde der Schreibtisch anders, mit Blick auch nur auf den waldmugeligen Zwiesel, die Entscheidung "gehen oder schreiben" fiele schwerer als ohnehin ...

Der Wunsch, Profibergsteiger zu werden, blieb unerfüllt – zu wenig, viel zu wenig Talent. Bergführer? Zumindest als Skifahrer zu schlecht dafür. Hüttenwirt? Manches Mal darüber nachgedacht, ein solches Dasein romantisch verklärt – und doch gewusst, dass es nicht das Richtige wäre. Am Schluss blieb das Schreiben. Genau genommen wollte ich das ja immer schon, von Jugend an. Nur dass bei mir der Umweg zum Schreiben durch und über die Berge führte.

Tagebucheintrag von einer Wanderung in Vermont, USA
Elmar Landes und Peter Baumgartner, damals Chefredakteure des Alpenvereinsjahrbuches (ihre Berufsbezeichnung lautete noch ganz altbacken "Schriftleiter"), und der in jener Zeit weithin berühmte Publizist Toni Hiebeler waren es, die mir den Weg vom Bergerleben zum Schreiben gewiesen haben. Ihnen verdanke ich genauso viel wie den literarischen Vorbildern, die als alte und enge Freunde dicht an dicht im Regal stehen: Joseph Roth und Dino Buzzati, Siegfried Lenz und Annie Proulx, Bertolt Brecht und Ödön von Horvath. Über das Bergsteigen zu schreiben ist schwierig. Die eigenen Erlebnisse und Erfahrungen wirken auf dem Papier meist dramatisch übersteigert oder durch rosa Brillengläser verklärt. Uns Bergsteigern fehlt letztlich die Distanz zum eigenen Tun. Und den Schriftstellern, wie man sie aus dem Feuilleton kennt, fehlt die Kenntnis des Gebirges. Kein Wunder, dass die sogenannte Alpinliteratur eher ein Unkraut auf weitem Feld ist, während die hohe Literatur, so sie sich den Bergen und dem Bergsteigen widmet, viel zu oft kläglich scheitert. Was bleibt dem schreibenden Alpinisten, dem bergsteigenden Schreiber also? Die Latte muss hoch liegen, auch wenn man weiß, dass man nicht drüberkommen wird – versuchen wenigstens muss man es. Und solche Versuche – am Berg und am Schreibtisch – können dann bisweilen ja durchaus beglückende Ergebnisse zeitigen. Und darum geht es schließlich: ums Glück.

 

»Uns Bergsteigern fehlt letztlich die
Distanz zum eigenen Tun.«

 

Mein persönliches Glück oder, besser, meine Zufriedenheit rührt daher, dass Schreiben und Bergsteigen eine immer harmonischer werdende Beziehung eingegangen sind. Meine Geschichten sind fast immer im Gebirge angesiedelt. Zu meinen, weil die Gebirge wie das Meer, die Wüste und der Urwald archaisches, instinktgesteuertes Erleben zulassen. Zum anderen, weil mir die Berge mit der ihnen eigenen Faszination, aber auch mit den von ihnen ausgehenden Risiken vertraut sind. Die Berge können schön und schrecklich sein, erhaben oder erdrückend, sie bieten also beste Voraussetzungen dafür, in literarischen oder filmischen Erzählungen die Bühne und gewissermaßen auch Hauptdarsteller zu sein.
Ja, es ist ein wirkliches Glück, nah an den Bergen zu wohnen, viel in der Natur unterwegs sein zu können und dabei die Gedanken sich tummeln zu lassen, um später die Farben, Formen, Geräusche und Gerüche des Gebirges zumindest ansatzweise in Worte zu transponieren. Ein gelungener Satz vermag mich genauso zu erfreuen wie ein schöner Ausblick ins Tal oder zum nächsten Gebirgsmassiv. Am allerschönsten für mich freilich ist, dass sich die beiden Passionen, das Draußensein und das Schreiben, vereint haben – und ich so, genau so leben und arbeiten darf.

Respekt haben und ankommen

von Joachim Chwaszcza

"Manchmal bedarf es großer Distanzen, um zu sich selbst zu finden." Dieser variierte Slogan einer großen deutschen Fluglinie ist provokant, manchmal auch zutreffend. Zumindest für mich, der ich das große Privileg genießen darf, viele entlegene und entfernte Berge und Orte dieser Welt zu sehen und zu erleben.

In Australien war an einem für mich nicht erkennbaren Punkt ein größerer "Umweg" notwendig. Weiterzugehen hätte bedeutet, die Traumpfade der Aborigines zu betreten. Auch in Tibet am Kailash oder in der Tsangpo-Schlucht hieß es "Stopp". Gut so, denn ab hier würde man bed yul betreten, heiliges Land. Australien, Tibet, Nepal, Ladakh ... immer wieder gab es ähnliche Erfahrungen. Den Menschen, denen ich dort begegnete, bin ich dankbar. Sie haben mich an ihrem Respekt teilhaben lassen, und ich habe gelernt, dass es uns nicht gut tut, diesen Respekt zu verlieren.

Extreme Landschaftsformen prägen extreme Lebensformen. Meer, Wüste, Berge. Aber auch das urbane Leben ist zu einer extremen Lebensform geworden. Wir instrumentalisieren Landschaften ohne Rücksicht. Wir nehmen, wovon wir glauben, dass es uns zusteht, ob am Riedberger Horn oder in den Isarauen. Aus Hedonismus, Ehrgeiz, Langeweile oder Selbstoptimierung.

So, wie wir uns dieser extremen Welten bedienen, fehlt uns, was naturverbundene und bergverbundene Menschen prägt: Respekt. Mein Berggefühl ist ein Erdgefühl, das – gleichgültig ob Meer oder Berg – im Zusammengehören zwischen Natur und Mensch steht. Respekt bedarf umsichtiger Distanz. Also mehr Respekt bitte und weniger selfishness, dann kommt es vielleicht wieder zu einem Einklang. Herbert Tichy hat es auf den Punkt gebracht: "Echte Abenteuer lassen sich nicht in Kältegraden, Höhenmetern oder Biwaknächten messen. Dies sind Nebensächlichkeiten, die man bald vergisst. Das Wort Abenteuer kommt aus dem Lateinischen und bedeutet 'Ankunft'. Damit umgrenzt es seinen ganzen Inhalt. Nach einem richtig bestandenen Abenteuer, einem adventure, ist man angekommen – bei sich selbst!“



Nichts Besonderes ...

von Franziska Baumann

Ein Moospolster, das unwirklich grün leuchtet – jede Faser ein kleines Kunstwerk.

Die Welt ist weiß. Mitten im Oktober. Selbst die Kühe schauen ratlos, suchen am Boden nach den vertrauten grünen Halmen und tauchen ihre Mäuler in das kalte weiße Zeug, das daüber Nacht vom Himmel kam. Eine Herbsttour sollte es ein. Jetzt tauchen die Bergstiefel bis über den Schaft in feuchten Pappschnee. Eine dreckige Pfütze schmatzt unter den Sohlen. Im Nu schmiegen sich die Socken nass und klamm um den Fuß. "Warum sind die Gamaschen nicht im Rucksack?!" Tauender Schnee tropft von den Zweigen – eine unwillkommene Dusche. Die Haare hängen wie ein feuchter Wischmopp ins Gesicht. Schnee rieselt in den Nacken. "Muss das sein ...?" Ein Gedankenkreisel setzt sich in Bewegung: "Was tu ich hier eigentlich? Die viele Arbeit auf dem Schreibtisch ... So viel zu erledigen! Sinnlos, hier rumzustapfen. Musste es ausgerechnet heute Nacht schneien! Beginnt jetzt schon der lange, graue Winter?" Der Schnee reicht inzwischen bis übers Knie. Immer wieder rutscht die Sohle auf einer feuchten Wurzel weg. "Ist das anstrengend!" In das Gedankenkarussell mischen sich ein paar unausgesprochene Flüche.

Dann streift der Blick eine Wurzel, die wie eine Holzskulptur aus dem Schnee ragt. Einen Zweig, an dem ein Tropfen wie eine winzige Kristallkugel funkelt. Die Spur eines Fuchses, die sich in die weiche, weiße Oberfläche gedrückt hat. Nichts Besonderes ... Der Schweiß rinnt salzig in die Augen, die Beine wühlen sich weiter durch den schweren Schnee. "Nichts Besonderes ..." Doch das Geplapper im Kopf ist irritiert, zögert, wird leiser. Plötzlich bricht ein Sonnenstrahl durch die Wolkendecke. Fällt auf das Moospolster an einem Baumstamm, das unwirklich grün leuchtet – jede Faser ein kleines Kunstwerk. Nichts Besonderes – und doch stockt kurz der Atem. Für einen winzigen Moment reißt der Gedankenstrom, ist es still. Sendepause. Ein kurzer Augenblick tiefen Gerührtseins blitzt auf. Gänsehaut. Die Kehle schluckt.

Dann plappert es wieder – aber zurückhaltend, fast schüchtern. Der Gedankenfluss ist zu einem murmelnden Bach geworden, der einen begleitet, wenn man an seinem Ufer entlanggeht – ohne dass man seinem Geräusch große Beachtung schenkt. Die Augen schauen nun, schauen richtig hin. Und plötzlich ist die Welt reich an Formen. Überbordend vor Farben. Voller kleiner Wunder. Nebelschleier, die wie hauchdünne Seide die Formen der Berge umspielen. Das Farbenspiel eines Laubbaums, der sich grell-bunt wie auf einem expressionistischen Gemälde vor einer makellos weißen Schneedecke abhebt. In der Sonne silbrigglänzende Wasserfäden, die von den Zweigen rieseln. Das Geräusch des tropfenden Waldes ist wie eine vielstimmige Sinfonie. Die Nase saugt die klare, kalte Luft ein, riecht den Schnee. Ein Hochgefühl durchströmt jede Pore. Man möchte juchzen. Grundlos. Einfach so. Nichts Besonderes ist passiert. Und doch ist plötzlich alles anders.

Der kritische Zug

 

Ich sah Orange und Schwarz,
Kletterpatschen, Felskänzelchen betatzend,
in der Heimat leuchtender Flechten.

Ich vernahm mit den Ohren nur Luftzug,
durch kaiserliches Licht am Predigtstuhl,
in senkrechten, silbernen Orgelpfeifen.

Ich wusch mich im grauen Fluss,
dem steil gestockten samt gelbbrüchigen Quellen,
und meine Stirn wurde orange-schwarzer Fuß
auf Dunklem und Hellem,
sich zur tastenden elften Zehe verjüngend, Lastverschiebung bedingend.

Ich wollte nicht ablassen,
als Augengeist und -tier,
vom Tanz der Füße,
von dem ich abhing,
fühlte derweil die Hände
die Kante umgreifen für den
schwerer umkehrbaren Zug
um die Pfeilerkante,
in die Ausgesetztheit
der steilsten Passage.

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