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Ende Juli 2007 fuhren die AGUSSO-Mitglieder Angela, Jochen und Richard ins Tiroler Pitztal, um dort zusammen mit einem Experten der Fachabteilung Raumplanung - Naturschutz des Österreichischen Alpenvereins den neuen "Notweg" durch das Grießtal in Augenschein zu nehmen. Dieser soll angeblich eine sichere Evakuierung des Pitztaler Gletscherskigebiets ermöglichen.
Drei Mitglieder der AGUSSO auf Exkursion zum "Notweg" im Pitztaler Gletscherskigebiet
Vom Parkplatz bei Mittelberg aus kann man die Zunge des Mittelbergferners schon kaum mehr sehen, da der Gletscher in den letzten Jahren erheblich an Substanz verloren hat. Das ehemalige Gletscherbett gliedert sich in drei Bereiche. Von Mittelberg aus führt zunächst ein breites Trogtal mit mäßiger Steigung bergauf. Es endet an einer Steilstufe, oberhalb derer sich eine V-förmig eingeschnittene Schlucht bis zur heutigen Zunge des Mittelbergferners hochzieht.
Anfang des "Notwegs" oberhalb von Mittelberg
Tief unten in dieser Schlucht rauscht als Gletscherabfluss die Pitze. In diese wildromantische Landschaft hinein frisst sich nun seit Herbst 2006 eine breite Schotterpiste, der sogenannte "Notweg". Er beginnt nahe der Talstation der Materialseilbahn zur Braunschweiger Hütte. Gleich am Anfang wird der Gletscherbach zum ersten Mal überquert. Serpentinen, die sich über ein steiles Geröllfeld nach oben winden, umgehen die Steilstufe auf der orografisch linken Talseite.
Nach einem kurzen, flacheren Absatz mit einer erneuten Querung der Pitze folgt dann der brutalste Eingriff in das Landschaftsbild.
Serpentinen umgehen die Steilstufe
Die steilen Felsflanken der oberen Schlucht werden durch ein bis zu 10 m breit herausgesprengtes Band zerschnitten, das durchaus – wie von den Skigebietsbetreibern ja auch zunächst geplant – als Skiabfahrt geeignet wäre.
Auf dem Gletscher angelangt, soll der Weg, der in diesem Abschnitt noch nicht genehmigt wurde, dann zunächst über eine Art Damm mit steil abfallenden Eisflanken führen.
Weg oder Skipiste?
Diese werden auf der einen Seite durch die Gletscherzunge und auf der anderen durch einen sich ständig vertiefenden Eistrichter gebildet. Ursache dieser Trichterbildung ist vermutlich Schmelzwasser vom Hangenden und vom Karlesferner, das hier unter dem Mittelbergferner hindurchfließt.
Wegführung über den in der unteren Bildhälfte sichtbaren schmalen Damm zwischen Eistrichter (links) und Gletscherzunge (rechts)
Es folgt eine Querung mitten durch eine spaltenreiche Steilzone, bevor endlich der obere, an das Skigebiet anschließende Teil des Gletschers erreicht wird.
Der "Notweg" ist z.T. sehr steil, müsste aber ggf. auch im vereisten Zustand von Skifahrern mit Pistenskischuhen (ohne Profilsohle!) begangen werden. Vor allem ist er im gesamten Streckenabschnitt unterhalb des Gletschers hochgradig steinschlag-, muren- und lawinengefährdet. Wie er unter diesen Voraussetzungen seinen Zweck erfüllen kann, nämlich im Notfall unter allen Umständen eine sichere Entleerung des Gletscherskigebiets zu gewährleisten, blieb uns ein Rätsel.
Wer bis vor dem Herbst 2006 schon einmal den Weg von Mittelberg zur Braunschweiger Hütte gegangen ist, weiß, dass sich dieser sehr steil und wunderschön durch einen felsigen Hang mit herrlicher Bergflora schlängelte. Wegen des "Notwegs" hat man im mittleren Teil dieses ausgesprochen schönen Aufstiegs einen großen Teil weggesprengt und durch eine breite Geröllpiste ersetzt. Schon sehr seltsam, wenn man von einem kleinen steinigen Weg, wie ihn der Bergsteiger liebt, auf eine graue, staubige Piste geleitet wird.
Fast während des ganzen Aufstiegs war Baulärm zu hören. Fünf Bagger waren an diesem Tag im Einsatz, um den im Herbst des Vorjahrs in aller Eile notdürftig eingerichteten Weg weiter zu befestigen. Obwohl die Arbeiten am "Notweg" im Sommer 2006 gestartet worden waren, hatte man sie in diesem Jahr nicht abschließen können, da der Bau wegen fehlender Genehmigungen mehrmals – z.T. durch die Polizei – hatte eingestellt werden müssen.
Arbeiter waren damit beschäftigt, lockere Steine aus Felswänden oberhalb des „Notwegs" zu lösen. Dies ist eine Aufgabe, die nie enden wird, da sich im Gestein durch eindringende Feuchtigkeit und Temperaturwechsel ständig neue Risse bilden.
Insgesamt scheint sich die Bauausführung vor allem am Gesichtspunkt der Kostenminimierung zu orientieren, und nicht so sehr an den Gegebenheiten einer extremen Einflüssen ausgesetzten Hochgebirgslandschaft. Dies war z.B. an den Bachquerungen zu erkennen. Sie bestehen aus mehreren parallel ins Bachbett eingelegten Stahlrohren großen Durchmessers, die mit einer planierten Kiesauflage zum Darüberfahren versehen wurden. Am Tag unserer Exkursion war es sehr warm, was zu einer starken Gletscherschmelze und damit am Nachmittag zu einem erheblichen Anschwellen der Pitze führte. Die Folge dieser nicht gerade außergewöhnlichen Wetterlage war, dass die untere Bachquerung zu großen Teilen überspült wurde. Dies verursachte bereits deutlich sichtbare Auswaschungen im Kiesbelag.
Wegen starker Gletscherschmelze überflutete Bachquerung
Ähnliches dürfte an weiteren überdurchschnittlich warmen Tagen passieren, wie sie im Gebirge vor allem in den letzten Jahren keine Seltenheit sind. Wenn sich das Abschmelzen des Mittelbergferners im gegenwärtigen Tempo fortsetzt, wird zudem die Trasse im Bereich des Übergangs auf die Gletscherzunge schon sehr bald tiefergelegt werden müssen, wodurch weitere umfangreiche Sprengungen erforderlich werden. Dazu bleibt dann die alte Trasse als Mahnmal für sinnlose Naturzerstörung weiterhin sichtbar.
Der „Notweg" durchbricht an mehreren Stellen Moränen. Dazu ist zu bemerken, dass im Tiroler Umweltrecht der Schutz von Gletschermoränen verankert ist oder besser gesagt: war. D.h. Moränen durften weder vorsätzlich beschädigt noch zerstört werden. Im vorliegenden Fall wurde vom Bauherrn des "Notwegs", der Pitztaler Gletscherbahn, ein geologisches Gutachten vorgelegt, in dem schlichtweg behauptet wurde, die Trasse berühre keine Moränen. Wir konnten uns vor Ort davon überzeugen, dass das Gegenteil der Fall ist. Sowohl die Moräne von ca. 1850 – zu dieser Zeit war der Gletscher am weitesten vorgedrungen – als auch die aus dem Jahre 1920 werden von der Trasse durchstoßen. Doch dieser offensichtliche Gesetzesbruch ist mittlerweile schon überholt, da der Tiroler Landtag den erst im Jahre 2004 eingeführten Moränenschutz bereits im Juli 2007 wieder gelockert hat. Denn dort hatte man wohl inzwischen eingesehen, dass diese lästige Gesetzesbarriere weiteren geplanten Großprojekten, wie etwa dem Bau neuer Talsperren und Wasserfassungen im Rahmen des Tiwag-Optionenplans, doch sehr im Wege stand.
Eigentlich wäre bei einem Bauvorhaben dieser Größenordnung eine Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) erforderlich gewesen. Diese glaubte die Pitztaler Gletscherbahn dadurch umgehen zu können, dass sie die Teilstücke des Wegs zwischen Talstation der Materialseilbahn und Gletscherzunge einerseits und auf dem Gletscher andererseits als unabhängige Bauprojekte deklarierte. Gegen diesen Täuschungsversuch legte jedoch der Tiroler Landesumweltanwalt Sigbert Riccabona Berufung ein und erhielt im August 2007 vom Umweltsenat in Wien Recht. Es muss also nachträglich doch eine UVP durchgeführt werden. Darüber ist Gletscherbahnchef Hans Rubatscher naturgemäß nicht sehr erfreut und hat angekündigt, nun seinerseits beim österreichischen Verwaltungs- und Verfassungsgerichtshof zu klagen.
Wie auch immer das Ergebnis der juristischen Auseinandersetzung ausfallen wird – die Natur ist zumindest an dieser Stelle bereits irreversibel zerstört. Eine Evakuierungsmöglichkeit für das Pitztaler Gletscherskigebiet hätte mit anderen Mitteln (z.B. Seilbahn oder zweiter Tunnel mit unabhängiger Notstromversorgung) auf sicherere und vor allem umweltschonendere Weise bewerkstelligt werden können. Im Hintergrund des "Notwegs" wie auch der geplanten Erschließung des linken Fernerkogels bzw. der Verbindung zwischen Pitztaler und Söldener Skigebiet steht wohl nicht so sehr das vorgeschobene Sicherheitsargument als vielmehr der scharfe Verdrängungswettbewerb zwischen den Tiroler Großskigebieten. Dem immer weiter gehenden Expansionsstreben des Ski-Massentourismus und der damit verbundenen Naturzerstörung müsste von Seiten der Politik endlich eine klare Schranke gesetzt werden.
Angela Knill, Dr. Jochen Simon